Online Marketing killed the Internet Star

Das Internet. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2020. Das Internet hat eine beachtliche Menge populärer Dienste groß gemacht: E-Mail. Video-Streaming. Vernetzte Kühlschränke. Smart-TV. Und allen voran das World Wide Web, kurz WWW oder auch das Web — für die meisten wohl der Star des Internets.

Nicky Reinert
27 min readOct 24, 2020

Online Marketing hat das Web vielleicht nicht umgebracht, aber mindestens nachhaltig geprägt. Doch der Song von The Buggles heißt nun mal nicht Video hat den Radio-Star nachhaltig geprägt…

Einleitung

„Ich bin zu der Einsicht gelangt, dass Werbung die Ursünde des Web ist“

Ethan Zuckerman, horizont.net

Eins vorweg: Das Web ist nicht das Internet, das wird oft missverstanden. Das Internet besteht aus vielen Computern, die miteinander vernetzt sind. Das Web besteht aus Webseiten, die miteinander vernetzt sind und über das Internet übertragen werden.

Das Web feiert bald seinen 30. Geburtstag und Werbung ist seit jeher ein treuer Begleiter und vielleicht auch ein bisschen Technologietreiber. Mitte der 90er Jahre beschränkte sich die Werbung im Web noch auf triviale Banner.

Werbung in 1994
Werbung in 2020

Der Hauptzweck von Werbung sollte die Finanzierung des Online-Angebots sein (bei den Vorgängern des Internets war Online Werbung sogar explizit untersagt). Die heute so berüchtigten Cookies wurden ursprünglich vor allem dazu genutzt, um z.B. den Warenkorb in Online-Shops zu speichern. Das WWW war ein ausgeglichener, idylischer Ort. Doch die Benutzerzahl stieg an und immer mehr Unternehmen entdeckten das Web für sich.

Der Banner ist Teil der Display Werbung, die zum Instrumentenkoffer des Online Marketings gehört. Im Bereich des Online Marketings entstanden viele neue Geschäftsmodelle und die Komplexität nahm zu. Instrumente und Strukturen evolutionierten in den folgenden drei Jahrzehnten rasant.

Was genau ist denn dieses Online Marketing?

Wo hast du diese Brille her? — Von `ner guten Fee, Kleiner!

Ned Hannister, Sie Leben (1988)

Die Grenzen sind, wie so oft, verschwommen und man könnte, wie so oft, ein ganzes Buch damit füllen, Online Marketing zu beschreiben.

Zu Kern des Online Marketings gehörte von Anfang an das Display Marketing, das ursprünglich aus einfachen Werbebannern bestand. Display Marketing, und vor allem der Banner, sind nunmehr ein kleines Zahnrad in der Online Marketing Maschinerie. Mittlerweile gibt es eine große Auswahl an Kanälen, in denen Online-Marketing betrieben werden kann. Da wäre z.B. das E-Mail-Marketing. Spam kann hier als aggressivste Form der Werbung betrachtet werden. Oder Social Media-Marketing über Plattformen wie Facebook, LinkedIn, Instagram. Dann gibt es natürlich das Suchmaschinen-Marketing (SEM, Search Engine Marketing). Hier unterscheidet man in Suchmaschinenoptimierung (SEO, Search Engine Optimization), um die Nutzer auf natürliche bzw. organische Weise auf das eigene Angebot zu lenken. Und Suchmaschinenwerbung (SEA, Search Engine Advertising), also bezahlte Anzeigen die in den Suchergebnissen angezeigt werden.

Dank der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung lassen sich aber auch klassische Marketing-Kanäle dem Digital- bzw. sogar Online-Marketing zuordnen, wie z.B. Print, TV, Radio oder Außenwerbung.

So bietet die gute alte Deutsche Post mit CONCENTRIC ein Produkt an, das die Nutzer einer Webseite mit einem geografischen Standort verknüpft. Damit kann Werbung in Print-Produkten mit online ausgespielten Werbebannern abgeglichen werden. Die Werbebotschaft in deinem Briefkasten begegnet dir im Browser wieder.

Auch die sogenannten Out-Of-Home-Kampagnen, wie z.B. die klassische Litfaßsäule, können dank der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung als Teil des Online-Marketings verstanden werden. Wenn eine Gruppe spanischer Touristen in Berlin mit ihren Smartphones vor einer digitalen Werbetafel steht, kann über die Auswertung der Geo-Daten der Smartphones und der entsprechenden Profile entschieden werden, als nächstes eine Anzeige für Museums-Führungen anzuzeigen.

Der Fernseher, noch immer eine der populärsten Freizeitbeschäftigungen, ist längst nicht mehr eine Elektronenröhre, die nur das Fernsehsignal in Richtung Sofa wirft. SmartTVs haben einen Weg geebnet, den Samsung nun unter lauter Kritik beschreitet: Deren Fernseher blenden personalisierte Werbung ein.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass jedes Gerät, welches über einen Anschluss an das Internet verfügt, ein potentieller Kanal für das Online-Marketing ist. Aus Unternehmenssicht sind das großartige Aussichten. Aus Nutzersicht sollte das beunruhigen.

Szene aus “Sie Leben”, 1988

Der Begriff Online Marketing bezieht sich in der Regel auf die Maßnahmen, die im WWW bzw. über das Internet stattfinden, eben “online”. Eine genaue Abgrenzung zum Offline Marketing ist schwierig, da die zunehmende Vernetzung auch klassische Offline-Kanäle betrifft, wie z.B. Außenwerbung. Der Oberbegriff ist das Digital-Marketing, das darüberhinaus auch andere Werkzeuge beinhaltet, die sich digital steuern lassen. Das alles findet innerhalb des Marketings statt, bei dem es natürlich nicht nur um Werbung geht.

Ziele, Wertschöpfung und Stakeholder

In der Logistik gibt es die sogenannte 6R-Regel: Das richtige Produkt, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in der richtigen Menge, in der richtigen Qualität zu den richtigen Kosten.

Dieses Mantra lässt sich auch auf das Online Marketing übertragen: Der richtige Empfänger (potentieller Kunde) soll das richtige Produkt (die passende Werbemaßnahme), zur richtigen Zeit und am richtigen Ort (Hustensaftwerbung im Winter, Strandballwerbung auf Mallorca) in der richtigen Menge (Frequency Capping), in der richtigen Qualität (systemgerecht, Smartphone versus Desktop) zu den richtigen Kosten (Marketing Controlling) erhalten. Die 7R des Online Marketings:

7R des Online Marketings (eigene Darstellung)

Nicht nur bei den Zielen gibt es Parallelen zur Logistik. Im Online-Marketing gibt es eine besondere Form der Wertschöpfung.

Aber zunächst zu den vier Kategorien bzw. Hauptakteuren im Online Marketing: Einmal sind das die Nutzer, die über ihre Geräte und Browser die Dienste des Internets nutzen. Sie sind die Empfänger der Marketing Maßnahmen. Ihr Interesse gilt weniger der Werbung und mehr den Inhalten.

Dann gibt es die Werbetreibende (neudeutsch Advertiser), die Marketing Maßnahmen zur Verkaufsförderung für ihre Produkte und Dienstleistungen nutzen.

Daneben gibt es noch die Publisher und Inhalteanbieter (im folgenden kürze ich diese Kategorie vereinfacht als Publisher ab), die die Marketing-Maßnahmen gegen Bezahlung umsetzen. Zu dieser Kategorie kann der Betreiber einer kleinen Webseite gehören, der ein paar Werbeanzeigen auf seinem privaten Blog schaltet. Oder aber der große Vermarkter, der die Werbeflächen eines großen Netzwerkes von Online-Portalen verwalten.

Und schließlich gibt es die vierte Gruppe der Marketing Technologie Unternehmen (kurz MarTech-Unternehmen), die zwischen den Advertisern und Publishern hängen. Hier spielt sich das eigentlich Marketing-Know-How ab.

Teilnehmer im Online Marketing (eigene Darstellung)

Die Grenzen in diesem Quartett lassen sich in der Realität nur schwer beschreiben. Natürlich können Advertiser inhouse auch MarTech-Aufgaben übernehmen. Genauso vertreten Publisher auch Advertiser-Interessen oder bilden bestimmte MarTech-Aufgaben innerhalb ihres Unternehmens ab.

In diesem System lässt sich eine Wertschöpfungskette erkennen, bei der das Geld aus den Marketing-Budgets der Advertiser über die MarTech-Unternehmen zu den Publishern fließt.

Die “Wahrnehmung” durch den Nutzer kann wie bei einer klassischen Wertschöpfung als “Rohstoff” verstanden werden, den der Publisher “erntet”. Die MarTech-Unternehmen reichern diesen Rohstoff mit ihrer Technologie und dem KnowHow an, um die Ziele der 7R-Regel zu erfüllen. Der Advertiser ist an dieser Stelle der Konsument.

Es entsteht eine Art Kreislauf. Die Marketing-Maßnahmen sind im Produkt-Preis einkalkuliert und werden damit, indirekt, durch den Nutzer finanziert. Der Nutzer wiederum konsumiert die Inhalte der Publisher.

Wertschöpfung in der Praxis

Der Einfachheit halber will ich mich zunächst auf die Display-Werbung konzentrieren, um einen kleinen Einblick in die Wertschöpfung in der Praxis zu geben.

Der Publisher wird dafür bezahlt, dass der Nutzer das Werbemittel auf seinem Angebot wahrnimmt — die sog. Ad Impression. Je mehr Nutzer die Werbung empfangen, desto mehr Geld erhält der Publisher vom Advertiser. Hier spielt der Tausender-Kontakt-Preis (TKP, englisch CPM, Cost per Mille) eine wichtige Rolle: Ein Publisher hat auf seinem Angebot 1 Mio. Besucher und verlangt einen TKP von 5 Euro. Der Publisher erhält also vom Advertiser 5 Euro * 1 Mio. / 1.000 = 5.000 Euro für die Ausspielung von Werbung an 1 Mio. Empfänger. Das ist die Holzhammer-Methode.

Etwas zielorientierter ist es, die Interaktion der Nutzer zu bewerten. Der Publisher erhält also eine (in der Regel höhere) Vergütung, sobald der Nutzer auch auf ein Werbemittel klickt. Man spricht dann vom Cost per Click bzw. Pay per Click (CPC, PPC).

Noch erfolgsorientierter ist ein Provisions-Modell, das eine tatsächliche Bestellung im Online-Shop berücksichtigt: Cost Per Order (CPO) oder Cost Per Lead (CPL), wenn das Ziel nicht die Bestellung sondern z.B. die Anmeldung bei einem Newsletter ist.

CPM und CPC spielen aber nicht nur bei Werbebannern eine Rolle, sondern z.B. auch beim E-Mail-Marketing, beim Suchmaschinen-Marketing oder im Affiliate-Marketing. Und damit stellen sie das Online Marketing vor eine kleine Herausforderung: Was ist, wenn der Nutzer nicht nach dem Kontakt mit einem Werbemittel auf einer Webseite, sondern zeitlich versetzt den Kauf tätigt? Vielleicht nach dem Lesen eines Newsletters oder Anschauen eines Werbevideos auf YouTube? Der Begriff der Customer Journey spielt hier eine wichtige Rolle. Man versucht zu erfassen, über welche Marketing-Maßnahmen (sprich Online-Marketing-Kanäle) der Nutzer angesprochen wurde bevor er einen Kauf getätigt hat, um eine Provision leistungsgerecht zu verteilen.

Das erfordert allerdings die Erfassung und Verarbeitung eines wichtigen Bestandteils im Online Marketing: Daten. Es geht darum herauszubekommen, ob und wann ein Nutzer den Newsletter gelesen, das Video gesehen, die Webseite besucht hat. So entsteht eine Customer Journey. Die Reise des Nutzers bis zum Einkauf im Online Shop des Advertises.

MarTech-Unternehmen erfassen und kombinieren Zugriffs-Daten, reichern sie aber noch weiter an. Jede zusätzliche Information über den Nutzer, die eine weitere Kategorisierung ermöglicht, hilft den Algorithmen dabei, die Customer Journey zu optimieren bzw. die 7R des Online-Marketings adäquat zu erfüllen.

MarTech-Unternehmen nutzen dazu demografische, geografische oder sogar persönliche Informationen, die die Nutzer mehr oder weniger freiwillig zur Verfügung stellen. Z.B. über ein Social Media Profil, in dem sie ihre Hobbys auflisten und andere Interessen hinterlegen. Aber natürlich auch über die CRM-Systeme der Advertiser oder schlicht über die Surf-Gewohnheiten im WWW.

All diese Daten werden durch die MarTech-Unternehmen erfasst, kombiniert sowie aggregiert und in Modellen und Algorithmen genutzt, um die sieben Ziele immer besser erfüllen zu können.

Möglich wird das alles durch das Tracking. Beim Aufruf einer Webseite werden dem Nutzer nicht nur die Bilder und Texte des Online-Angebots übermittelt. Die Webseite enthält außerdem Verweise zu anderen Servern und Diensten. Oft werden dazu Tracking-Pixel genutzt. Dazu werden mithilfe von JavaScript Anfragen zusammengebaut, die relevante marketingtechnische Informationen enthalten und an andere Server übermittelt werden. Die Antwort ist dann z.B. ein extrem kleines Bild mit genau einem Pixel — daher der Begriff Tracking-Pixel. Diese Anfrage an den Server eines MarTech-Unternehmens ermöglicht außerdem das Setzen eines Cookies. Wird das Tracking-Pixel des MarTech-Unternehmens auch auf den Seiten andere Publisher eingesetzt, kann man mihtilfe des Cookies nachvollziehen, auf welchen Seiten ein Nutzer unterwegs war.

Verschiebung der Prioritäten

Journalistische Inhalte sind das Vehikel, um die Aufmerksamkeit des Publikums für die werblichen Inhalte zu erreichen

Springer-Anwälte in 2015

Das ganze führte allerdings im Laufe der Zeit zu einigen Problemen. Wie z.B. die Verschiebung der Prioritäten. Anfangs bestand der Hauptzweck eines Werbebanners, aus Sicht des Publishers, in der Finanzierung seines (kostenlosen) Angebots. Das hat sich an vielen Stellen geändert und der Werbebanner ist der Mittelpunkt bestimmter Geschäftsmodelle geworden.

Die Umsatzgenerierung mit Werbung scheint im Vordergrund zu stehen. Inhalte werden nicht mehr nur von Werbung begleitet, sie werden zum willfährigen Erfüllungsgehilfen degradiert. Die Anwälte des Springer-Verlags hatten die Situation 2015 ganz gut auf den Punkt gebracht: Der Inhalt soll den Nutzer auf die Seite locken, um dort die Werbung zu konsumieren. Der Blogger und Entwickler Bradley Taunt, drückt es in Bezug auf Nachrichtenseiten noch etwas drastischer aus:

“News Websites Are Dumpster Fires”

Bradley Taunt, 29. Mai 2019

Die Strategie lautet, möglichst viele Nutzer auf das eigene Online-Angebot zu locken, um möglichst viel Werbung auszuspielen. Eine berüchtigte Methode dürfte den meisten bekannt sein: Click-Bait-Überschriften:

“Dieser Artikel wird dein Leben verändern!”

“Du glaubst nicht was passierte, als eine Mutter ihre Kinder vom Flughafen abholte”.

Dahinter verbergen sich oft Artikel, die vielleicht einen gewissen Unterhaltungswert besitzen, mit Journalismus aber nicht mehr viel zu tun haben.

Die Überschriften müssen dabei gar nicht so reißerisch sein, es geht auch salonfähig und etwas subtiler. Immer mit dem Ziel vor Augen, die Neugier des Nutzers zu wecken und ihn auf einen eigentlich banalen Artikel zu locken. Wie z.B. die folgende Überschrift:

“Gerücht: Neues Assassin’s Creed heißt Ragnarok & bringt beliebtes Feature zurück.”

(GamePro am 20.11.2019)

Der neue Titel der Assasin’s Creed-Reihe stand, auch bei GamePro, schon länger fest. Das “beliebte Feature” soll dennoch dazu verleiten, auf den Artikel zu klicken. Um welches Feature es sich dabei handelt (die Rekrutierung), erfährt der Leser zum Ende des Artikels in einem Satz, nachdem es vorher, von zahlreichen Werbebanner begleitet, noch ein paar Mal angeteasert wird.

Man kann dem Beitrag die journalistische Leistung nicht komplett absprechen, trotzdem ist diese Art von Berichterstattung sehr weit verbreitet. Die wichtige Information lässt sich gut in einem Tweet oder regelmäßig aktualisiertem Übersichtsartikel oder sogar der Überschrift unterbringen. Stattdessen wird ein kleines Detail mit Bildern und bereits bekannten Informationen so aufbereitet, dass ein komplett neuer Nachrichten-Beitrag entsteht.

Zur Zeit ist die “PlayStation 5” ein Trend-Thema im Technologie-Bereich. Das Theme ist so bedeutent, dass sogar eigentlich themenfremde Portale wie TV-Movie berichten:

Quelle: tvmovie.de (aufgenommen am 09.09.2020)

So sieht die Seite beim ersten Aufruf aus:

Quelle: tvmovie.de (aufgenommen am 09.09.2020)

Der Vorbesteller-Preis, um den es geht, beträgt 500 Pfund. Und die beunruhigende Information lautet, dass die PlayStation zum Start bereits ausverkauft sein könnte. Zwei Informationen, die nach einem Pop-Up auf einer Seite präsentiert werden, die 10 mal so lang ist, wie der eigentlich informative Inhalt.

Ich möchte diese Erscheinung “kreativen Mikro-Journalismus” nennen. Der Redakteur muss durchaus Kenntnis von der Sache haben. Die Herausforderung besteht dann aber darin, eine dünne Informationslage mit möglichst viel Text aufzuwerten. Das erfordert Kreativität.

Der Nutzer muss nicht nur auf die Seite gelockt sondern auch dort gehalten werden. Demnach darf der wichtige aber kleine Informationshappen nicht schon im ersten Absatz zu finden sein.

Außerdem kann mithilfe vieler kleiner Informationshappen in unterschiedlichen Artikeln auch die Frequenz der neuen Beiträge künstlich erhöht werden. Das ist ein wichtiger Faktor in der Suchmaschinen-Optimierung (SEO). Die Suchmaschine wird eine Seite höher bewerten, wenn sie feststellt, dass dort regelmäßig neue Beiträge veröffentlicht werden.

Im nächsten Schritt geht es übrigens darum, Artikel nicht mehr von einem Menschen verfassen zu lassen werden. Das Ziel ist die automatisierte Erstellung von Inhalten. Berichte über Fussballspiele können mittlerweile durch eine Software erstellt werden. Diese Seite demonstriert die Erstellung fiktionaler Nachrichten. Wann gänzlich automatisiere Nachrichtentexte geliefert werden, ist wohl nur noch eine Frage der Zeit und der moralischen Flexibilität.

Dass wir davon nicht mehr weit entfernt, demonstrierte kürzlich der Student Liam Porr. Sein Blog, den er dank GPT-3 mit künstlich verfassten Text fütterte, zog in 2 Wochen 26.000 Leser an. Ein Beitrag schaffte es auf dem populären Nachrichten-Aggregator Hacker News an die erste Stelle, ohne dass den Lesern klar war, dass die Inhalte von einer KI erstellt wurden.

Die Herrschaft von SEO

The internet is an SEO landfill

unbekannt, 25.09.2020

Serendepity bechreibt das zufällige Auffinden interessanter Informationen. Der Klick auf einem Link in einem Blog führt zu einem Partner-Blog. So kann man sich durch das WWW hangeln und neue Inhalte entdecken. Ein Klick auf einen Link einer vermeintlich privaten Seite kann aber auch zu einem kommerziellen Angebot führen. Und hier stellt sich immer öfter die Frage, inwieweit die Seite / der Blog transparent handelt und wirklich eine unabhängige Empfehlung abgegeben hat.

The Internet of creation disappeared. Now we have the Internet of surveillance and control.

Renata Ávila, lab.cccb.org

Der Nutzer folgt dem Pfad, den die Marketing-Technologie für ihn vorgesehen hat. Das passiert einerseits durch die Optimierung der Kampagnen. Unter dem Begriff der Predictive Customer Journey wird z.B. eine Maßnahme verstanden, die automatisch die Online-Marketing-Kampagne empfiehlt, die den größten Verkaufserfolg für den individuellen Nutzer verspricht. Klingt kompliziert, ist es auch.

Ein wichtiges und relativ leicht zugängliches aber ungleich aufwendigeres Teilgebiet ist SEO — Suchmaschinenoptimierung.

SEO ist eigentlich eine sehr nützliches Werkzeug. Die Aufgabe einer Suchmaschine ist es, Inhalte im WWW objektiv zu bewerten. Dank SEO werden Webseiten für das bestmögliche Benutzererlebnis optimiert. Es geht nicht nur um das Layout (genügend große Schrift), sondern auch um technische (Geschwindigkeit) und inhaltliche Faktoren (Lesbarkeitsindex). Die Suchmaschine nutzt derlei Faktoren, um den Wert einer Seite für den Nutzer zu ermitteln und die Seite entsprechend gut in den Suchergebnissen (SERP) zu platzieren.

Allerdings führte auch das mit der Zeit zu einer Umkehr der Prioritäten. Mit der ausreichenden Expertise ausgerüstet, gelingt es SEO-Experten Nutzer auf Seiten zu führen, deren Haupt-Zweck es ist, an Affiliate-Programmen zu verdienen. Der Nutzer soll ausgehende Links zu kommerziellen Angeboten klicken, wodurch dem Seiten-Betreiber eine Provision zugesprochen wird (CPO, CPL, siehe oben).

Wirklich perfektioniert wurde das Konzept mit dem Aufkommen der Gutschein-Portale. Ein Nutzer, der bereits eine feste Kaufabsicht besitzt, macht sich kurz vor dem Kaufabschluss auf die Suche nach Gutscheinen. Vom Gutschein-Portal aus klickte er sich dann zum Online-Shop durch und tätigt den Kauf. Das Gutschein-Portal wurde dann als letzter Kontakt wohlwollend bei der Provision berücksichtigt. Ein Gutschein-Portal anzubieten gehört mittlerweile zum guten Ton, auch bei Seiten, bei denen man das eigentlich nicht erwarten würde, wie welt.de, stern.de, ja sogar spiegel.de und vielen, vielen mehr.

Die Customer Journey Analyse und die sogenannten Attribution helfen dem Online Marketing Manager übrigens, derartige Portale zu entlarven. Man versuchte die Reise des Kunden bis zum Kaufabschluss zu erfassen und anhand statistischer Methoden zu erkennen, welcher Kontakt mit den Online Marketing-Maßnahmen des Advertisers am ehesten zur Festigung der Kaufabsicht beigetragen hat. Gutschein-Portale versuchen oft nur die Provision abzugreifen, ohne einen wichtigen konsum-psychologischen Beitrag zu leisten.

Aber auch bei der Suche nach Kaufempfehlungen und Vergleichsstest spielt SEO (bzw. sogar SEA — also das Schalten von Werbeanzeigen über die Suchmaschine) eine wichtige Rolle. Ich möchte das am Beispiel der Suche nach einer Empfehlung für “Universalfernbedienungen” zeigen. Gleich an erster Stelle hat sich chip.de platziert. Charakteristisch: Jeder ausgehende Link zu Amazon ist mit einem Affiliate-Parameter versehen und soll somit die Provision beim Kauf der jeweiligen Produkte sicherstellen. Der Artikel behandelt übrigens vornehmlich Logitech-Produkte. Die Produkte der Konkurrenz, die in einigen Absätzen nur kurz abgehandelt werden, sind nicht verlinkt.

Auch die anderen Seiten aus den Suchergebnissen machen deutlich, dass es nicht leicht ist, einen Test zu Universalbedienungen zu finden, der halbwegs vertrauenserweckend erscheint. Ein weiteres Ergebnis führt so z.B. zu welt.de — einer Nachrichtenseite. Sicher, auch Nachrichtenportale haben Technik-Ressorts. Aber auch hier wird klar, dass man inhaltlich nicht viel erwarten kann. Nach der Auflistung technischer Details, die so auch in der offiziellen Produktbeschreibung zu fnden sind werden ein paar technische Hintergründe erklärt. Einen richtigen Test gibt es nicht. Dafür aber die besagten Affiliate-Links. Nun kann man diesen Seiten vielleicht zugestehen, dass diese “Tests” der Finanzierung des Hauptprodukts dienen.

Doch auf der 1. Ergebnisseite finden sich auch andere Verteter, bei denen noch klarer wird, wie das Geschäftsmodell SEO + Affiliate funktionieren kann:

Die Seite universalfernbedienungtest.com ist professionell umgesetzt und enthält einige technische Hintergrundinformationen. Jedes Produkt bekommt sogar einen eigenen Artikel, der im wesentlichen aber nur die technischen Daten und Amazon-Rezensionen zusammenfasst. Es wird nicht deutlich, dass sich jemand inhaltlich ausführlich mit Universalfernbedienungen auseinandergesetzt hat, was zumindest bei chip.de noch der Fall war. Das Impressum verweist auf ein Unternehmen in Las Vegas. Unter den Partner-Seiten werden handdampfreinigertest.com und plattenspielertests.net aufgeführt, die laut Impressum zum gleichen Unternehmen gehören. Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass diese Seiten einzig dazu dienen, Umsatz durch Provisions-Abschöpfung zu generieren.

Fernbedienungen sind keine Ausnahme. Grundsätzlich ist jedes Produkt, das konsumiert wird, dafür prädestiniert, in einem Blog-Artikel “getestet” und empfohlen zu werden. Kaffeemaschinen. Kopfhörer. Babyphones. Die Grenze zwischen unabhängigen (und ausführlichem) Test und einfacher Auflistung ist dabei sehr verschwommen.

Das Web ist zu einer SEO-Deponie verkommen. Der Ausblick? Man vermutet jetzt schon, dass künstliche Intelligenz die Suchmaschinen mit SEO-Reizen überfluten wird.

Ein undurchschaubares Ökosystem

Der Tracker wurde programmatisch auf unserer Webseite gesetzt, daher können wir den Werbetreibenden dahinter nicht identifizieren.

unbekannter Publisher

Schaut man sich die Akteure im Online Marketing von vor 25 Jahren an, dürfte die Bedeutung der MarTech-Unternehmen neben den Advertisern und Publishern auffallend gering gewesen sein. Arbeitsteilung und technische Innovation führten im Laufe der Zeit dazu, dass deren Rolle immer wichtiger wurde.

Unzählige Plattformen und Anbieter stießen auf den Markt, um ihre Dienstleistungen anzubieten. SSP, DSP, DMP, CMP, AdServer, AdExchanges, AdNetworks, Trading-Desks — und das sind nur die bekanntesten Teilnehmer.

Und all diese haben ein großes Arsenal an Werkzeugen im Gepäck, um die 7R-Ziele immer besser zu erfüllen. Mit Re-Targeting werden dem Kunden passgenaue Werbebotschaften übermittelt. Die Predictive Customer Journey nutzt ausgefeilte Algorithmen, um die Kaufwahrscheinlichkeit zu ermitteln und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Da das Vertrauen in die Influencer sinkt, versucht man mit Micro-Influencern eine “familiäre” Bindung zu erschaffen, über die die Werbebotschaft übermittelt werden kann. Die Geolokalisierung sorgt dafür, dass dein Smartphone den Besuch des Burgerladens empfiehlt, den du gleich passieren wirst. Und die Werbesendung aus Papier in deinem Briefkasten wurde dank Adress-Matching genau auf deine Bedürfnisse abgestimmt. Weitere Buzzwords sind Programmatic Advertising, Machine Learning oder Blockhain. Die Technologie-Maschine läuft auf Hochtouren, auch wenn die Wirksamkeit zweifelhaft ist. Doch das ist nicht nur ein Problem der Online Marketing-Branche.

Das Online Marketing-Ökosystem in Reinform (eigene Darstellung)
Das Online Marketing-Ökosystem in der Realität (eigene Darstellung)

Zählte man in 2011 noch knapp 150 Mar-Tech-Unternehmen, sind es 2020 bereits über 8.000. Bis 2020 erwartet man weltweit Ausgaben von 121,5 Mrd. USD für Marketing Technologien. 2021? 350 Mrd USD.

Eine Ursache für das Wettrüsten im Digital Marketing ist der Konflikt zwischen den Nutzern, die sich dem ständigen Werbedruck entziehen möchten und den Advertisern, die um genau diese Aufmersamkeit mit dem Wettbewerb buhlen. Die MarTech-Unternehmen haben ihre Chane erkannt und antwortet mit einem unsagbaren Innovationsdruck, der natürlich auch das berühmte Buzzword-Bullshit-Bingo befeuert.

So ist eine komplexe Industrie entstanden, die Unmengen an technischen und humanen Ressourcen verschlingt. Im Online-Marketing arbeiten extrem begabte Menschen an extrem ausgefeilten Techologien.

The best minds of my generation are thinking about how to make people click on ads.

Facebook-Engineer, via thecorrespondent

Während man anderswo alles daran setzt, mit Automatisierung die Produktivität zu erhöhen, um der von Keynes in 1930 proklamierten 30-Stunden-Woche näher zu kommen, scheint man im Online Marketing nicht müde zu werden, neue Beschäftigungsfelder zu entdecken und aufregende Berufsbezeichnungen zu entwicklen.

Anzahl Unternehmen in der MarTech-Branche (Quelle: chiefmartec.com)

Der leider kürzlich verstorbene Anthropologe David Graeber definiert Bullshit Jobs übrigens folgendermaßen: “Das ist ein Job, von dem die Leute, die ihn machen, glauben: Wenn es diesen Job nicht gäbe, würde dies nicht auffallen, würden die Dinge sogar ein wenig besser”. Die aktuelle Coronoa-Krise und der Begriff “systemrelevante Berufe” geben dieser Aussage einen gewissen Nachdruck.

Jesse Frederik und Maurits Martijn kommen in einem Artikel, der hinter Online-Advertising eine große Blase vermutet, zu einer absurden Erkenntnis. Trotz des ganzen Aufwandes, trotz immer steigender Werbe-Budgets, trotz einem hyperkomplexen Ökosystem, bestehen Zweifel daran, ob Online Advertising überhaupt effektiv funktioniert:

“Is online advertising working? We simply don’t know”

Jesse Frederik und Maurits Martijn, thecorrespondent.com

Fettleibigkeit

Werbung dringt in jede Ritze, jede Pore unseres Lebens. Sie überzieht alles mit einem fiesen, grellen Schleim aus Halbwahrheiten, Stereotypen und Habsucht. Werbung ist Spam, der sich hübsch gemacht hat.

Felix Schwenzel, 24.07.2016, wirrest.net

Ein derartiges Ökosystem hinterlässt auf jeder Webseite seine Spuren und führt damit auch zu ganz handfesten technischen Problemen. Die Website-Obesity (“Fettleibigkeit”) ist ein globales Problem, deren Auslöser zugegeben nicht nur das Online Marketing ist.

Eine Ursache für die Fettleibigkeit bei Webseiten dürften zunächst zahlreiche Popups, Popunder und Banner sein. Ethan Zuckermann, ein Entwickler, der Mitte der 90er Jahre für die Entwicklung der Pop-Ups mit zuständig war, hat sich übrigens genau dafür entschuldigt und rechnet gleichzeitig mit Werbung im Internet ab.

Eine andere Ursache sind die unzähligen Prozesse, die im Hintergrund ablaufen. Um auf imgur.com eine Grafik mit einer Größe von 538 KByte zu laden, sendet die Seite 9,62 MByte an Daten und startet 465 HTTP-Anfragen. Initial. Je länger man auf der Seite verweilt, desto mehr Datenvolumen wird in Anspruch genommen. Imgur hat die Kontrolle über sein Angebot ganz offensichtlich verloren, steht damit aber auch nicht allein da.

Verbindungen, die beim Aufruf eines Bildes auf imgur.com geöffnet werden

Wie diese große Anzahl entstehen kann, möchte ich am Real Time Bidding (RTB) erläutern. Beim RTB geht es um den Handel mit Werbeplätzen. Der Nutzer ruft das Angebot des Publishers auf, der Werbeplätze auf seiner Webseite anbietet. Um nun zu ermitteln, welchen Werbebanner der Nutzer tatsächlich sieht, wird eine Anfrage an die sogenannte Supply Side Plattform (SSP) abgesetzt. Diese Plattform ist eine Art Sammelbecken für freie Werbeflächen von Publishern.

Auch auf Advertiser-Seite gibt es eine solche Plattform — die Demand Side Plattform (DSP). Hier werden sozusagen die Wünsche der Advertisers gesammelt, eine bestimmte Werbung auszuspielen. Die Advertiser bieten auf die freien Werbeflächen und die Vermittlung des ganzen geschieht über die Ad Exchange — eine Art Börse.

Um die Auswahl der freien Werbeflächen zu optimieren, gibt es auf der Advertiser-Seite außerdem eine Data Management Plattform (DMP). Natürlich bieten Advertiser nicht blind auf freie Werbeplätze, sondern versuchen ihre Zielgruppe möglichst genau zu erreichen. Die DMP kann dazu sogenannte Segment-Informationen liefern. Befindet sich also ein freier Werbeplatz auf einer Automobil-Seite, werden Advertiser aus der Automobil-Branche bevorzugt dafür Gebote abgeben. Jede dieser Plattformen ist beim Aufruf einer Webseite mit einer Anfrage involviert. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Sytems.

Das ganze gehört zum großen Feld des Programmatic Advertising. Leider ist das System vor Betrügern nicht gefeit. Aufgrund der schieren Komplexität und langen Lieferketten für den Werbebanner kann man kaum noch vermeiden, dass Betrüger das System für sich ausnutzen und völlig sinnfreie Werbeplätze verkaufen. Adobe, einer der Big Player im Online Marketing, räumt ein, dass 3% der Werbeplätze an Betrüger vermittelt werden.

Unzufriedenheit

Advertising is a cancer on society.

Jacek Złydach, 02.10.2019

Die technischen Problem sind bei weitem nicht alles. Ein Studie mit 1 Mio. Nutzern zeigte jüngst auf, dass Werbung auch eine wichtige Quelle menschlicher Unzufriedenheit ist. Ein Problem ist, dass Werbung nicht nur informiert sondern auch Bedürfnisse erzeugt, die nicht alle gedeckt werden können.

Weiterhin wurde untersucht, wie sich die Zunahme und der Rückgang des Werbeaufkommens auf den nationalen Wohlstand auswirken. Offenbar gibt es auch hier einen Zusammenhang: Wenn sich die Werbeausgaben verdoppelt haben, nahm die Lebenszufriedenheit um 3% ab.

Zwar geht es in dieser Studie um Werbung allgemein. Die Werbung im Web, einem unserer täglichen Begleiter, dürfte daran aber einen erheblichen Anteil haben.

Der Datenschutz

“Das Problem ist nicht der Datenschutz, es ist die Datensammlung.”

Edward Snowden

Theoretisch wäre es ohne weiteres denkbar, dass der Schutz (persönlicher) Daten und Online Marketing konfliktfrei koeexisieren. Doch die Versuchung ist groß. Je besser sich die Nutzer identifizieren lassen, desto höher ist die Effizienz der meisten Marketing-Maßnahmen.

Die Ziele und der Ideenreichtum des Online Marketings kollidieren demnach massiv mit dem steigenden Datenschutzbewusstsein innerhalb der Gesellschaft und damit einhergehend den gesetzlichen Vorgaben.

Die wichtigste Waffe im Kampf gegen das Tracking sind seit jeher Browsererweiterungen wie NoScript, AdBlockPlus (*hust*) usw. Auf die Seite der Konsumenten haben sich außerdem zwei Browserhersteller geschlagen. Apple hat seinen Browser Safari als einer der ersten Anbieter mit einer Technologie ausgestattet, die das sogenannte Tracking erschweren soll (ITP, Intelligent Tracking Prevention). Mozilla zog wenig später nach: Firefox blockiert standardmäßig 3rd-Party-Cookies und bietet einen Schutz vor ungewollter Aktivitätenverfolgung an. Unmöglich wird das Tracking dadurch lange nicht, aber zumindest erschwert.

Google ist mit seinem Browser Chrome noch etwas zurückhaltender. Nicht ohne Grund. 85% der Einnahmen von Google stammen aus dem Werbegeschäft. Der Nettogewinn der Muttergesellschaft Alphabet stieg von 12 Mrd. USD in 2017 auf 30 Mrd. USD. 85% der Einnahmen stammen aus dem Werbegeschäft.

Alphabet Nettogewinn seit 2005

Der hauseigene Tracking-Dienst “Google Analytics” gehört für viele zum Quasi-Standard. Egal welchen Zweck ein Webseiten-Betreiber mit der Analyse seiner Besucher verfolgt, der erste Griff geht reflexartig zu Google Analytics. Was dabei gerne übersehen oder einfach ignoriert wird: Man überlässt Google die Daten der eigenen Nutzer und Kunden freimütig. Dabei würde eine einfache selbst gehostete, aggregierte Besucherstatistik vielleicht schon genügen.

Data is the new oil and GA is Deepwater Horizon.

Kemal Ahmed, 21.01.2020, dev.to

So viel Marktmacht bleibt natürlich nicht ungesehen. Gerade sieht sich Google in den USA einer Kartellrechtsklage ausgesetzt.

Gegenwind bekommt die Online-Marketing-Industrie auch von Seiten des Gesetzgebers (Nicht erst jetzt seit 2018, Datenschutzgesetze gibt es schon länger, das erste dieser Art stammt sogar aus Hessen).

Mit der in Mai 2018 inkraft getretenen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) versucht der europäische Gesetzgeber dem Datenschutz mehr Bedeutung zu verleihen. Bei der DSGVO geht es ganz allgemein um den Schutz personenbezogener Daten, unabhängig davon ob im Internet, beim Bäcker oder einer Behörde. Eine auf die speziellen Anforderungen des Internets zugeschnittene ePrivacy-Verordnung, die vor allem dabei helfen sollte, die entstandene Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, lässt seit Jahren auf sich warten. Warum? Die Online Marketing Branche hat eine starke Lobby.

Nichtsdestotrotz urteilten europäische und auch deutsche Gerichte erst kürzlich auch zum Thema Cookies und auch das umstrittene Privacy-Shield wurde mittlerweile kassiert.

Für den Nutzer und die Betrieber kleiner Seiten ist die Situation schon lange nicht mehr durchschaubar. Aber auch “Europas Regierungen scheitern an der DSGVO“, so Dave Ryan, Datenschutzspezialist beim Browser Brave.

Werden finanzstarke Großunternehmen mal an den Haken genommen, dann schöpfen diese mit Anwaltsarmeen den Rechtsweg bis zur höchsten Instanz aus und betreiben ihre illegalen und lukrativen Geschäftsmodelle über Jahre hinweg weiter.

Thilo Weichert, Datenschutzexperte

Wer personenbezogen Daten erfasst oder verarbeitet, benötigt laut DSGVO eine Rechtsgrundlage. Als Legitimation bietet sie u.a. das explizite Einverständnis (engl. Consent) des Nutzers oder ein berechtigtes Interesse (engl. legitimate interest) an.

Damit soll das ungehinderte Erfassen und Verarbeiten personenbezogener Daten erschwert werden. In der Realität sieht das folgendermaßen aus: Die Hausfrau und der Hausmann sind von der neuen Informationsflut wohl eher überfordert und genervt. Der Webseiten-Besucher muss nun beim Aufrufen einer Webseite der Verarbeitung seiner personenbezogner Daten zustimmen und wird darüber maximal transparent aufgeklärt. Der berühmt-berüchtigte Cookie-Banner gehört zum gewohnten Bild.

Cookie-Banner von bildderfrau.de (abgerufen am 24.10.2020)

Der prominente grüne Button führt dazu, dass jede Tracking-Maßnahme akzeptiert wird. Wer nur technische notwendige Cookies zulassen möchte, muss sich über die Einstellungen mit den Hintergründen beschäftigen und wird mit über 250 Unternehmen konfrontiert, die beim Besuch einer Webseite involviert sein könnten:

Cookie-Einstellungen von bildderfrau.de (abgerufen am 24.10.2020)

Schon mal was von Teads, Tapad, Taboola oder Tealoum gehört? Der Otto-Normal-Nutzer wird Schwierigkeiten haben zu verstehen, was hier passiert. Der Cookie-Banner wird nur als störend empfunden und vermutlich ungelesen weggeklickt.

Das ist natürlich kein Einzelfall. So sieht der Cookie Banner bei chefkoch.de aus:

Cookie-Banner von chefkoch.de (abgerufen am 24.10.2020)

“Auch wenn du nicht zustimmst, siehst du weiterhin Werbung.” — aber wo befindet sich der Button, um nicht zuzustimmen?

Natürlich ist es im Interesse der Branche, dass der Nutzer seine volle Zustimmung gibt. Um das zu erreichen bedient man sich gerne sogenanter Dark Patterns. Dabei wird ein Benutzerinterface so gestaltet, dass der Nutzer eine Entscheidung fällt, die unter Umständen gegen sein eigentliches Interesse ist.

Im Januar 2020 hat man die Verwendung von Dark Patterns im Lichte der DSVO untersucht. Nur knapp 12% der untersuchten Seiten setzen die Vorgabe der DSGVO minimal rechtskonform um. Bei allen anderen Seiten stellte man den Einsatz von Dark Patterns oder einer Gestaltung fest, die ein bestimmtes Einverständnis bereits im voraus implizierte.

Der ganze Aufwand und die ausgefeilten Texte und Erklären waren am Ende aber doch umsonst, weil die Nutzer Browser-Erweiterungen nutzen, die derartige Pop-Ups einfach wegklicken.

Während die Gesetze kleinere Unternehmen oder selbständige Webseiten-Betreiber vor große Herausforderungen stellen und für den Nutzer komplett nutzlos zu sein schein, spielen sie vor allem den Big Playern wie Facebook und Google in die Arme:

Die größten Gewinner der DSGVO sind denn auch die großen, meist amerikanischen Konzerne, die von einheitlichen Regeln auf dem Binnenmarkt profitieren. Kleine und mittlere Unternehmen leiden hingegen unter der neuen Datenschutzbürokratie. Und die Verbraucher werden weiter ausgeraubt. Ihre kostbaren Daten gibt es immer noch umsonst, trotz DSGVO.

Zwei Jahre Datenschutzgrundverordnung — Für die Nutzer komplett nutzlos, Eric Bonse, 25.06.2020, taz.de

Zwei neue Mitglieder im Online Marketing Ökosystem

Ein interessanter Effekt, der die Innovationskraft der Branche sehr gut demonstriert, ist die Entstehung und der Aufstieg der Consent Management Plattformen (CMP). Damit reiht sich eine weitere Dienstleistung in das Ökosystem des Online-Marketings ein. Bei der CMP handelt es sich um eine Plattform, die den Consent der Nutzer zentral verwaltet. Das erleichtert den Publishern das Einbinden eines einheitlichen Cookie-Banners. Der Nutzer profitiert wiederum von der Wiedererkennung der Abfrage und der zentralen Verwaltung seiner Zustimmung.

Im Hintergrund hat das IAB — der Branchenverband des Online-Marketings — einen Standard entwickelt, um das Einholen des Einverständnisses auch aus technischer Sicht zu erleichtern: Das TCFThe Consent Framework.

Beide Dienste, CMP und TCF, sind natürlich kostenpflichtig. Das TCF ist mittlerweile soweit verbreitet, dass es für Advertiser, Publisher und MarTech-Unternehmen kaum einen Weg daran vorbeigibt. Das erleichtert einerseits die Prozesse, ist andererseits aber auch ein erheblicher zusätzlicher Kostenfaktor. Aktuell haben sich knapp 900 Vendoren, also MarTech-Unternehmen, für das TCF registriert (Der Jahresbeitrag beträgt übrigens 1.200 Euro — knapp 1 Mio. Euro mehr oder weniger garantierter jährlicher Umsatz für die Pflege eines Standards sind ein hübsches Sümmchen).

Das TCF ist ein Standard von der Industrie für die Industrie. Zweck der Consent-Banner ist es nicht, dem Nutzer Online-Marketing zu erklären — das würde den Rahmen bei weitem sprengen. Das TCF dient dazu, alle notwendigen Informationen zu präsentieren, um rechtskonform zu handeln und sich nicht angreifbar zu machen.

Will man sich mit der Verwendung seiner Daten ausführlicher beschäftigen, darf man sich mit über einem Dutzend von sogenannten Zwecken und Funktionen des Trackings auseinandersetzen. Darunter z.B. “Automatisch Geräteeigenschaften zur Identifizierung empfangen und senden”, “Offline-Datenquellen zusammenführen und kombinieren”, “Gerätemerkmale aktiv zu Identifizierungszwecken scannen”, “Anzeigenleistung messen” usw. usf.

Tracking-Einstellungen von yahoo.com (abgerufen am 24.10.2020)

Noch Fragen?

Ein Sündenbock names Cookie

Der Cookie muss seit dem gestiegenen Datenschutzbewusstsein in der Öffentlichkeit als Sündenbock herhalten. Dabei ist der Cookie, wenn man so will, nur der unschuldige Überbringer der Nachricht.

Ein Cookie kann in der Regel nur von der Webseite gelesen werden, die ihn auch gesetzt hat. Das ist ein wichtiges Sicherheitsmerkmal. Setzt spiegel.de also einen Cookie, kann nur spiegel.de diesen Cookie lesen. Man spricht vom First-Party-Cookie. Nutzt spiegel.de die Dienste eines MarTech-Unternehmens, geschieht das oft über sogenannte Third-Party-Cookies. Dazu erzeugt spiegel.de auf seiner Seite z.B. mit JavaScript, einen kleinen, für den Nutzer unaufälligen Aufruf, zu einer anderen Webseite, z.B. track.martech-company.de. Dadurch kann auf dem Computer des Nutzers beim Aufrufen von spiegel.de ein zusätzliches Cookie, ein Third-Party-Cookie, von track.martech-company.de gesetzt werden.

Besucht der Nutzer danach heise.de, wo auch die Dienste von track.martech-company.de eingesetzt werden, kann das MarTech-Unternehmen seinen Cookies auslesen. Dadurch kann das MarTech-Unternehmen eine Verbindung herstellen: Der Nutzer war erst auf spiegel.de, dann auf heise.de und so weiter.

Da viele Browser Third-Party-Cookies standarmäßig blockieren, setzen viele MarTech-Unternehmen auf eine einfache Weiterleitung: Der eben erwähnte unaufällige Aufruf geht einfach an martech.spiegel.de und wird von dort intern zu track.martech-company.de weitergeleitet. Damit handelt es sich wieder um einen “vertrauenswürdigen” First-Party-Cookie.

Der Third-Party-Cookie sind also nicht das Problem, geschweige denn der Cookie ansich. Denn es eine ganze Menge anderer Technologien, um den Benutzer in irgendeiner Form im Web zu identifizieren.

Der ETag etwa, essentieller Bestandteil von HTTP, kann als eindeutiges Identifizierungsmerkmal genutzt werden. Mit Finger Printing lassen sich verschieden technische Merkmale zu einem eindeutigen Hash zusammensetzen. Die IP-Adresse ist nach ebenfalls ein essentieller Bestandteil der Kommunikation im Internet — IP steht für Internet Protokoll.

Eine weitere Möglichkeit sind Identitäts-Plattformen. Sie werben mit dem Versprechen, mit einem zentralen Konto den Zugriff auf viele Internetdienste zu ermöglichen (Single-Sign-On). Google und Facebook sind zwei der bekanntesten Plattformen.

Das ist bequem, hat aber auch den Effekt, das in einem Facebook-Konto jede Anmeldung zentral erfasst wird. Egal, ob man sich in einem Auto-Forum oder bei einem Kaffe-Blog angemeldet hat. Die netId, ein Projekt von RTL, Pro7Sat1 und United Internet, wird als europäischer Antagonist platziert. Der Vorteil dieser Plattformen: Die Nutzung geschieht freiwillig.

Der letzte Schrei sind übrigens Id-Graphen. Dabei werden alle verfügbaren Informationen, E-Mail-Adresse, Geo-Lokalisierung, IP-Adressen, Social-Media-Profile uvm. gesammelt und dann mit Hilfe von deterministischen oder probabilistischen Methoden verknüpft. Der große Vorteil: Dieses Methode funktioniert geräteübergreifend. Egal, ob der Nutzer mit dem Laptop, Smartphone oder Smart-TV im Web unterwegs ist, sein Weg durch das Internet ergibt eine Spur.

Fakt ist im Moment: In der Realität wird sich das Tracking nicht vermeiden lassen. Man wird sich der personalisierten Werbung nicht entziehen können.

Daten

Laut chiefmartec.com verzeichnt die Anzahl der MarTech-Unternehmen aus der Kategorie “Daten” mit 25% das größte Wachstum in 2020. Daten sind das Produkt der oben genannten Wertschöpfungskette, in der ein essentieller Teilnehmer, der eigentliche Datenlieferant, gar nicht berücksichtigt wird: Der Nutzer.

Jaron Lanier forderte bereits 2013 ein Ende der Umsonst-Mentalität und eine finanzielle Ausgleich für den, der Daten liefert. Auf dem Global Solutions Summit in Berlin forderte Angela Merkel in 2018 dazu auf, Daten einen angemessenen Wert beizumessen:

Die Bepreisung von Daten, besonders die der Konsumenten, ist aus meiner Sicht das zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft.

Angela Merkel, 2018

Der Ruf, dass Daten als Gut auch bezahlt werden müssen, wird immer wieder laut.

Das Problem ist übrigens hausgemacht. Die Gründerzeit des Internets hat dem Nutzer eine Kostenlos-Menthalität beigebracht, die es nun gilt ihm wieder abzugewöhnen. Auf der anderen Seite stehen Inhalteanbieter und Werbetreibende, die die Reichweite des Internets schätzen

Eine Möglichkeit wäre, die Inhalteanbieter von der Abhängigkeit der Advertiser zu befreien. Um das zu erreichen, wird bereits seit einiger Zeit auf Mikotransaktionen und Cookie-Walls oder Pay-Walls gesetzt. Spiegel Online setzt das vorbidlich um. Hier wird nicht versucht, dem Nutzer mit Fachbegriffen zu verwirren und zu einer Entscheidung zu verleiten. Der Nutzer kann das Online-Angebot gegen Bezahlung nutzen: Entweder mit seinen “Daten” oder ganz schnöde und konservativ: Mit Geld.

Daten oder Abo? (abgerufen von spiegel.de am 24.10.2020)

Einen anderen Weg geht Coil, ein Konsortium von Mozilla und Creative Commons. Das Projekt wurde im September 2019 gestartet, mit dem Ziel das Gerechtigkeitsproblem zu lösen. Mit finanzieller Unterstützung will man Inhaltserzeuger dazu bewegen, auf Werbung und Datenerfassung zu verzichten. Dazu stellt das Konsortium Mittel in Höhe von 100 Mio. USD bereit. Nutzert können sich für 5 USD im Monat registrieren und bekommen so Zugriff auf kostenpflichtige Inhalte im Internet. Die Einnahmen werden dann an die Inhalteanbieter verteilt. Das ganze geschieht natürlich unter strengster Einhaltung von Datenschutzgrundsätzen.

Der Browser Brave versucht ebenfalls Nutzer und Publisher direkt zusammenzubringen. Wird Werbung ausgespielt, erhalten Nutzer und Browser-Hersteller 15% der Einnahmen, der Publisher erhält 70%. Die Gutschrift erfolgt in Form der digitalen Währung Basic Attention Token. Eine Benutzerverfolgung findet nicht statt.

Und nun?

Do what you do best and link to all the rest.

Jeff Jarvis, 30.04.2007

Jeff Jarvis konstatiert, dass das Problem nicht die Werbung sei, sondern die Ökonomie der Massenmedien, die im Internet nicht funktioniert. Heißt: Es werden mehr Inhalte erzeugt, da diese Clicks bringen. Die Lösung: Nur gute Inhalte liefern und sonst zu verlinken. Der Inhalteanbieter muss sich auf das Erzeugen von Inhalten konzentrieren, nicht das Erzielen von Werbe-Umsätzen.

Sein Appell: Werbung nicht abschaffen, sondern reparieren. Denn ein Internet und seine Dienste können ohne Werbung nicht funktionieren. Das muss auch nicht so sein. Das Ziel soll es sein, Inhalteanbieter für ihre Leistung fair zu belohnen. Immer unter der Prämisse: Die Inhalte sind das Produkt, nicht die Nutzer.

Hat Online Marketing das Web umgebracht? Nein. Aber mindestens zu seinen Gunsten geformt, es verändert. Wäre das Internet eine Stadt, “wäre Wikipedia ein öffentlicher Park und der Rest wären Einkaufspassagen”.

Steht das Online Marketing unter Generalverdacht? Nein. Werbebudgets müssen gerecht verteilt, Kampagnen optimiert werden. Allerdings sollte die Datensouveränität beim Nutzer liegen. Man muss dem Nutzer die Entscheidung in die Hände legen, welche persönlichen Daten er preisgibt und ihn dementsprechend dafür belohnen. Diese Daten müssen dezentral gespeichert werden und nicht durch eine Plattform verwaltet werden, an die der Nutzer sich gebunden fühlt.

Stell dir vor, jeder Nutzer könnte eine Art Werbeprofil in seinem Browser verwalten. Die Informationen sind nur dort und gegebenenfalls auf synchronisierten Geräten verfügbar. Der Nutzer bestimmt, welche persönlichen Informationen er preisgeben will. Je wertvoller diese Daten für den Advertiser sind, desto größer fällt eine “Belohnung” aus.

Der Nutzer wäre ein gleichberechtigtes Mitglied im Wertschöpfungskreislauf des Online Marketings.

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Nicky Reinert
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Written by Nicky Reinert

generalist with many interests, developer, photograph, author, gamer

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